Versteckte Orte (17. März 2023)

Bis Orchha sind es nur noch 1,5 Stunden. Als wir durch den kleinen Ort Datia kommen, entdecken wir auf einem Berg einen tollen Palast mit vielen kleinen Chatris.

Er ist gar nicht in unserem Reiseführer beschrieben, der Besuch reizt uns aber sehr. Vielleicht kommt man zumindest näher heran. Wir müssen durch eine kleine Ortschaft fahren. Immer wenn wir anhalten und nicht weiter wissen, macht uns jemand Zeichen und zeigt uns dadurch den Weg. Die Straße ist schmal, hat rechts und links einen kleinen Abflussgraben oder/und Motorräder, und dann hört sie vor einer Sperre auf.

Wir lassen den Tracker inmitten der Motorräder stehen und gehen auf den Platz, der vor dem Palast liegt. Wir sind erstaunt, dass es einen Ticketcounter gibt, in dem ein Mann uns hochprofessionell Eintrittskarten verkauft. Er schafft es aber nicht, uns auf unsere gegebenen ca. 10 EUR wieder 4 EUR herauszugeben. Offensichtlich hat er heute noch nichts eingenommen, und sein Portemonnaie gibt auch nicht genug her, um einen 500 Rupien Schein (ca. 5 EUR) zu wechseln. Wir kramen noch etwas Kleingeld, d.h. Scheine zusammen, um auf 100 Rupien zu kommen. Hier gibt es schon ab 5 Rupien, d.h. ca. 5 Cents, Scheine. Der Eintrittspreis ist mit 300 Rupien p.P. für uns Ausländer wie üblich 12 mal so hoch wie für Inder.

Ein Mann begleitet uns und schließt die Tore auf.

Er erzählt, dass der Bir Singh Deo Palast 1620 nach fast 9 Jahren Bauzeit fertiggestellt wurde. Kein Mitglied der Familie des Maharadschas lebte hier. Der Palast diente nur als Gästehaus. Bir Singh Deo war wohl sehr baufreudig, denn er ließ 52 Monumente in seinem Land errichten. Der Palast hat sieben Stockwerke und eine Grundfläche von 80 x 80 Metern. Nachdem er nach dem Tod von Bir Singh Deo 300 Jahre lang nicht genutzt wurde, zogen 1947 nach der Trennung von Pakistan und Indien Flüchtlinge hier ein.

Unser Führer, der mittelmäßig Englisch spricht, führt uns durch das große Eingangstor. Überall in den Wänden sind kleine verschieden geformte Nischen. Der Führer erklärt uns, dass die Formen für unterschiedliche Religionen stünden, die rechteckige für den Hinduismus, die nach oben geschwungene mit einer Spitze für den Islam, eine andere Form für die Jains, etc. In ihnen sollen Öllampen gebrannt haben, die die Räume sicherlich in ein warmes Licht gehüllt haben. Der Palast hat über 400 Zimmer, die aber wahrscheinlich nie komplett bewohnt waren.

Wir sind verzaubert von diesem Ort, dem man das Alter deutlich ansieht, der aber eine gewisse Erhabenheit ausstrahlt. Es soll hier viele Tänzerinnen und Gaukler zur Unterhaltung der Gäste gegeben haben. Wir werden in einen Saal geführt, wo wir an der Decke rund um eine Rosette einen plastischen Reigen von Tänzern staunend betrachten, in einer Technik, wie wir sie in Indien bisher noch nicht gesehen haben.

Wir steigen schmale steile Treppen innerhalb der Mauern hoch und haben bald die höchste für uns begehbare Ebene erreicht. Von hier haben wir einen tollen Ausblick auf die Seen, die den Palast umgeben, und weitere Paläste, z.B. den des lokalen Maharadschas. Wir sind fasziniert von den Jalis, die sehr kunstvoll gearbeitet sind und etwas Geheimnisvolles haben.

In der Mitte der Anlage liegen die Audienzhallen, die über Brücken von den Seiten zugänglich sind. Auch wenn Bir Singh Deo hier nicht gelebt hat, gibt es natürlich Räume für ihn, die besonders schön mit Malereien ausgeschmückt sind.

Wir sind ganz begeistert von diesem noch nicht vom Tourismus eroberten Juwel und freuen uns über die unverhoffte Entdeckung.

Nun geht es nach Orchha, was wörtlich „versteckter Ort“ heißt. Es ist aber lang nicht so versteckt, wie der Palast von Datia. Da Orchha auf der UNESCO Weltkulturerbeliste steht, taucht es natürlich eher auf Reiserouten auf. Wir fahren zu einer Brücke, die das Dorf von den Palästen trennt, und machen erst einmal Mittagspause.

Die Bauarbeiten an den großen Befestigungsanlagen und Palästen von Orchha begannen Ende des 15. Jh. unter Raja Rudra Pratap. Der letzte große Herrscher hier war Bir Singh Deo, der 1627 von Wegelagerern ermordet wurde. Danach verschlechterte sich die Situation für die Bundela, die hier lebten, sodass sie die Gegend verließen und die Bauwerke dem Verfall überließen.

Der erste große Palast, den wir betreten, ist der Raj Mahal. Er ist im selben Stil wie der Datia Palast erbaut, aber deutlich größer. Eine ca. 1 m breite Treppe führt vom großen Innenhof in den ersten Stock, wo von man schon einen schönen Blick hat. Nun folgen die nur jeweils für eine Person begehbaren steilen Treppen in den Wänden zu schmalen Gängen rund um den Hof, die sich an den Ecken und in der Mitte zu Räumen verbreitern. Die Brüstungen zum Hof hin sind sehr niedrig, sowie der ganze Gang. Während zu der Zeit in Europa in den Palästen breite, repräsentative Treppen gebaut wurden, begnügten sich hier die Herrscher mit schmalen Stiegen.

Von weiter oben können wir nicht nur das Innere des Palastes überblicken, sondern auch den Ort, den Fluss und andere Gebäude aus der Zeit. Die vielen Chhatris in unterschiedlicher Größe verleihen dem großen Bauwerk eine gewisse Leichtigkeit. In einigen Räumen können wir an der Decke und den Wänden Reste von Malereien sehen. Ein sehr beliebtes Motiv sind Pfauen und Reiher.

Gleich neben dem Raj Mahal erhebt sich der Jahangir Mahal, den Bir Singh Deo als Willkommensgeschenk für den Besuch des Großmoguls Jahangir errichten ließ. Wir streifen wieder durch die Gänge, steigen treppauf und treppab und genießen die Ausblicke. Insgesamt stellen wir aber fest, dass uns der besser erhaltene  Palast von Datia mehr gefallen hat, als diese beiden durch die UNESCO in einen höheren Rang erhobenen.

Von den beiden Palästen hatten wir immer wieder einen tollen Blick auf eine riesige Tempelanlage mit mehreren Türmen im Dorf. Die wollen wir uns auch noch anschauen. Direkt neben dem alten Tempel ist eine protzige neue Anlage in Weiß und Rosa entstanden, vor der sich die üblichen Händler von Blumen und Süßigkeiten und einige „heilige Männer“ niedergelassen haben.

Als wir uns dem alten Tempel nähern, sind wir etwas enttäuscht, denn die Außenwände sind sehr schlicht, ganz anders als die reichhaltig verzierten Tempel, die wir bereits gesehen haben. Innen finden wir einen riesigen Raum vor mit Galerien, zu denen man hinaufsteigen kann. An der Stirnseite liegt das Heiligtum des Tempels, eine von vielen Tüchern verdeckte Rana-Statue.

Zurück beim Tracker fahren wir noch ein Stück weiter nach Süden zum Fluss Betwa. Dort gibt es eine Ansammlung von Kenotaphen, Scheingräbern, die zum Gedenken an die Maharadschas errichtet wurde. Wir fahren über einen schmalen Damm auf die andere Seite des Flusses, von wo wir einen tollen Blick auf die Silhouette der Gebäude haben, die im Dunst über dem Fluss aufragen.

Wir setzen uns auf eine Bank und lassen dieses Ensemble auf uns wirken. Vor uns auf der Wiese grasen Schafe und Kühe, einige Affen springen herum. Von der anderen Seite klingen leise Trommeln herüber. Eine unwirkliche Szenerie! Wir können kaum glauben, dass wir hier sitzen und das alles erleben!

Nach diesem Zauber fahren wir ganz real weiter Richtung Khajuraho und finden auf dem Weg wieder ein Restaurant, wo wir gut essen und stehen können. Wir halten inzwischen immer Ausschau nach Familienrestaurants, die besser ausgestattet sind als einfache Dhabas.

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